Gleich vorweg, wegen dem Gesetz über Werbung und so: Ich habe das Buch freundlicherweise gratis erhalten, um eine Rezension zu schreiben, aber keinerlei inhaltliche Vorgaben bekommen, also alles was hier steht, ist auf meinem Mist gewachsen. 🙂
Gleich zu Beginn dieses umfangreichen Buches wird schnell klar: Geschmack geht alle unsere Sinne etwas an – Augen und Ohren, Tast-, Geruchs- und Geschmackssinn, und dass es nicht ganz einfach ist, Geschmack zu verstehen.
“Essen mit Genuss ist eine hochdimensionale Angelegenheit, weit mehr als ‘Ernährung’, die nur gut oder schlecht sein kann. Essen ist sinnlich und gehört zu unserer Kultur. Nicht zuletzt deshalb ist Essen in all seinen Facetten ein schier unerschöpfliches Forschungsfeld für zahlreiche Wissenschaftszweige wie beispielsweise Materialforschung, Design, Ethnologie, Geschichte, Biologie, Physik oder Chemie”.
Uns steht heutzutage eine riesige Auswahl an Gewürzen und Zutaten aus allen Kontinenten zur Verfügung, aber man kann einfach nicht wissen, was wo dazu passt, ohne es einmal ausprobiert zu haben, weil man eben keine Erfahrung damit hat. Aber anstatt Neues zu kaufen, mit dem man dann nichts Rechtes anzufangen weiss, kann man in diesem Naschschlagwerk schnell die richtigen Informationen finden.
Ziel des Würzens ist – ohne Frage – ein Gericht interessanter zu machen. Man stelle sich hier einfachheitshalber einmal vor, man würde das Salz aus der Küche einfach weglassen ! Das geht ja gar nicht, oder ?
Neben der genauen Besprechung der einzelnen Geschmacksrichtungen teilt das Buch die Duftstoffe je nach chemischer Zusammensetzung in sieben Gruppen ein: Anhand eines einfachen Farbschemas kann man dann herausfinden, was zu was passt, was sich gegenseitig verstärkt beziehungsweise ergänzt. Wer hätte zum Beispiel vermutet, dass Liebstöckel, Bockshornkleesamen, Erdbeeren und Camembert über das Aroma Sotolon miteinander verbunden sind und deshalb sehr gut kombiniert werden können ?
Im ersten Kapitel “Ein Fest für die Sinne” wird akribisch genau darauf eingegangen, was und vor allem wie und warum wir schmecken. Die Wichtigkeit von Textur wird ebenso hervorgehoben wie die Temperatur von Lebensmitteln, bzw. das Reizen des Trigeminusnervs, der auf Lebensmittel reagiert, die wir als “brennend”, “scharf”, “kühlend”, “beissend”, “stechend” oder “brenzlig” beschreiben. Es wird auch über “kokumi”, was soviel wie “Mundfülle” bedeutet, berichtet. Und es wird eingeräumt, dass Menschen zwar schon seit einer Ewigkeit das Wissen um die Erzeugung von guten Speisen haben, dass aber jetzt mit Hilfe von Physik, Chemie, Psychophysik und Neurobiologie auch erklärt werden kann, warum was wie schmeckt.
Viele sind wahrscheinlich der Meinung, dass das Würzen und Abschmecken einer Speise eine intuitive und emotionale Sache sein sollte. Meiner Meinung nach bekommt man eine solche “Intuition” aber nur durch viel Übung bzw. durch Lernen von Anderen oder auch Lernen aus Fehlern. Die Autoren machen hier schnell klar, dass es durchaus recht nützlich sein kann, etwas systematischer vorzugehen: die in dem Buch erstellten charakteristischen Molekülgruppen (sieben plus eine, mit einem Farbleitsystem gekennzeichnet) lassen dabei immer noch sehr viel Raum für Kreativität.
Das Kapitel “Würzpraxis” erläutert wie das Abschmecken in den Grundgeschmacksrichtungen süss, sauer, salzig und bitter funktioniert. Es hält auch einige Tipps parat, wie man eine Speise noch retten kann, falls man in einer Richtung etwas “zu viel abgeschmeckt” hat. Ebenso wird erklärt, wie man umamisieren und kokumisieren kann und wie man den Trigeminusnerv am besten reizt. Das wichtigste in diesem Kapitel ist aber wohl die Erörterung der beiden Prinzipien Food-Pairing und Food-Completing: es “eröffnen sich … ganz neue und aussergewöhnliche Kombinationen, wie sie bisher, je nach Kulturkreis, kaum eingesetzt werden.” Man kann also Blauschimmelkäse und Zimt durchaus miteinander kombinieren, wenn man eine Creme aus gekochten Portweinpflaumen als Vermittler verwendet.
Das Kapitel “Eine kleine Geschichte des Würzens” ist ebenfalls sehr aufschlussreich: man lernt hier zum Beispiel: dass Kümmel schon vor 5000 Jahren verwendet wurde; dass die im Altertum beliebte Alleswürze Siliphon (Silphium) im 1. Jahrhundert wahrscheinlich wegen Übererntung ausgestorben ist; dass an königlichen Höfen im Mittelalter verschiedene Zutaten unabhängig vom Geschmack eher zum dekorativen Einfärben prächtig aussehender Speisen verwendet wurden (“Angeberküche”); dass später dann als Reaktion auf das Zuviel absichtlich sparsam gewürzt wurde; dass es ein Koch in China auf der Karriereleiter durchaus zum Politiker schaffen hat können; dass Samen und Stecklinge von Muskatnuss und und Gewürznelke von den Gewürzinseln klammheimlich weggeschmuggelt wurden, um sie auch woanders anzubauen; dass der Speisezettel der breiten Masse trotzdem immer eher von der wirtschaftlichen Situation abhängig war … und vieles mehr.
Das Kapitel “Kräuter, Gewürze & mehr” startet mit einer Tafel, die erklärt, wie das Farbschema in diesem Buch funktioniert:
Auf den darauf folgenden 281 Seiten werden alphabetisch geordnet allerlei Gewürze, Kräuter und besondere Zutaten (wie zum Beispiel Harze, Algen etc.) ganz genau beschrieben:
- die für den charakteristischen Geschmack/Duft zuständigen Moleküle
- ob die Aromen wasser- oder fettlöslich (oder beides) sind
- eine genaue Temperatur-Skala, die anschaulich mach, welche Aromen sich bei welcher Temperatur entfalten (soll ich das Gewürz am Anfang oder am Ende zugeben und wann schmeckt es wie ?)
- mit welchen anderen Gewürzen ergibt sich eine Harmonie bzw. welche Gewürze ergänzen sich
- zu welchen Lebensmitteln passt ein Gewürz
- Landes-Spezialitäten, in denen das Gewürz dominant vorkommt
- oft gibt es auch einen kleinen interessanten geschichtlichen Exkurs
Und wer will, kann die nächsten Seiten in diesem Kapitel einfach überspringen und sie im Sinne eines Nachschlagwerks verwenden. Ich hab den “Fehler” begangen, bei A für Ajowan zu lesen zu beginnen, und ich konnte dann einfach nicht mehr aufhören, weil ich auf jeder Seite noch etwas Neues dazulernen konnte, wie zum Beispiel:
– dass man Limetten der Länge nach aufschneiden sollte
– dass man frischen Estragon ohne Aromaverlust einfrieren kann
– dass man mit Gewürznelken Essig sehr einfach aromatisieren kann
– dass Gellan ein pflanzliches Geliermittel ist
– dass Safran bei einer Dosis von 20g tödlich sein kann
– dass Sternanis eigentlich von einer immergrünen Magnolienart stammt
– wie man Kaffeeöl selber herstellen kann
– wie man mit Kakao und Kaffee einem Gericht Röstnoten beimengen kann
– was es mit verschiedenen Salz-Arten auf sich hat
– dass Isomalt besser ist als Zucker zum “karamellisieren”, weil es nicht bräunt
– und… und… und… und… und… und… !!!
Bei jedem Gewürz/Kraut gibt es ausserdem ein meist recht ungewöhnliches Rezept bzw. einen Vorschlag, wie man es sonst noch verwenden kann: wer einmal ein Pesto aus getrockneten Tomaten mit getrockneten Aprikosen probiert hat, fragt sich wahrscheinlich, warum man nicht früher auf diese Kombination gestossen ist. Und wer jemals Lauch in viel Butter geschmort und mit zerstossenen Kaffeebohnen genossen hat, weiss, wovon man träumen darf.
Es gibt einfach so viele Vorschläge, dass man mit dem Ausprobieren gar nicht nachkommt !
Im Anschluss gibt es ein Kapitel über Gewürzmischungen. Dass dabei fertige, im Supermarkt gekaufte Gewürzmischungen nicht gut weg kommen, ist hier nicht wirklich weiter erstaunlich. Sie werden zwar ganz kurz besprochen, aber wer in diesem Buch schon so weit gekommen ist, hat wahrscheinlich ohnedies keine Lust mehr, eine fertige Mischung zu kaufen. Ein paar Diagramme dienen als Anregung für eigene Gewürzmischungen – sowohl für trockene Mischungen wie auch für Saucen oder Würzpasten (wasser- oder ölbasiert). Auf fast 100 Seiten werden Gewürzmischungen aus verschiedensten Ländern mit ihren Zutaten aufgelistet. Was ich dabei besonders gern mag ist, dass es zwar jeweils eine Liste an Zutaten gibt, aber keine genauen Mengenangaben: Für mich macht das absolut Sinn, weil es gibt keine “richtige” Mischung: letztendlich mischt ja jeder nach eigenem Geschmack, bzw. nach eigener Tradition.
Liebevoll arrangierte Schälchen und Zutaten auf den Fotos geben eine Übersicht über die verschiedenen Mischungen, wie zum Beispiel hier über karibische Würzsaucen und Würzpasten (im Buch sind die einzelnen Schälchen noch beschriftet, damit man gleich weiss, was was ist. Vom Verlag ist mir dieses Foto ohne Beschriftung zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt worden):
Im letzten Kapitel “Alkohole, Essige, Fette und Öle” werden eben diese im Detail erklärt: die Gewinnung bzw. Herstellung wie auch der traditionelle Gebrauch. Fast wie nebenbei gibt es auch hier interessante Rezepte bzw. Ideen, was man mit diesen Zutaten alles anstellen kann, wie z.B. Butter mit fettlöslichen Aromen aromatisieren.
Im Anhang gibt es zur raschen Inspiration noch eine alphabetische Liste, in der man nachlesen kann, welche Gewürze bzw. Kräuter zu gängigen Nahrungsmitteln passen. Hier wird auf das zuvor beschriebene Food-Pairing und Food-Completing Bezug genommen – anhand von kursiv gesetzten Wörtern kann man sofort erkennen, ob es sich um das eine oder das andere Prinzip handelt.
Meine Conclusio zu diesem Buch:
Ich würde sagen, dieses Buch ist absolut unentbehrlich, wenn man den eigenen Horizont in Bezug auf Würzen und Geschmackskombinationen erweitern will. Es gibt einfach so viele Anregungen, dass es den eigenen “Würzgeist” regelrecht beflügelt !
Auf einmal fällt einem während des Würzens eine Zutat ein, die man normalerweise nie ausprobiert hätte: mein Vogerlsalat (=Feldsalat) mit Kernöl ist zum Beispiel spontan um etwas Rosenwasser erweitert worden – und erstaunlicherweise hat diese Kombination richtig gut gepasst. Es hätte natürlich auch schief gehen können, weil diese Idee kam nicht direkt aus dem Buch, sondern war so etwas wie eine plötzliche Eingabe – nach dem Schmökern im Buch. Bevor ich dieses Buch gelesen habe, wäre mir so eine Mischung nie in den Sinn gekommen, jetzt schon ! 🙂
Und hier gibt es den Link zum Buch auf Amazon:
Aroma: Die Kunst des Würzens (Affiliate Link, d.h. wenn jemand über diesen Link das Buch kauft, bekomme ich ein paar Prozente und freu mich drüber)